Marlies Lüdtke'
Interspace
Seit Wochen war ich zunächst sporadisch, seit Sonntag, seit ich die Ausstellung anschauen und Thomas Riess treffen konnte, vehement damit beschäftigt, die Bilder, des Künstlers Kommentare sowie Fremd-Kommentare, in den Griff, oder zumindest in angemessener, verständlicher Form unter einen Hut zu bringen und aufs Papier zu bannen. Mein Anliegen ist, wie immer, Ihnen eine kleine „Sehhilfe“ den Ausdruck finden Sie auch als Bildtitel wieder, mit auf Ihre Reise durch den Raum zu geben. Im Laufe dieses Prozesses habe ich, zugegebener Maßen, Zeiten großer Verwirrung und angestrengten Nachdenkens durchgemacht, wie ich sie seit langem in Bezug auf Ausstellungen nicht mehr hatte. Immer wenn ich dachte, ich hätte es jetzt erfasst, das ist nun mal die Voraussetzung, etwas weiter zu geben, zerbarst mein Gedankengebilde und ich musste wieder von neuem beginnen, mit einem anderen Ansatz unter neuen Gesichtspunkten, bis sich mir gestern der Gedanke aufdrängte, dass das eine der Botschaften sein könnte.
Thomas Riesss Bilder ziehen uns in Welten, in denen unsere Atmung Unterstützung braucht, unsere Existenz davon abhängt, dass wir uns schätzen. Wir werden selbst zu Tauchern oder Astronauten und floaten, in unserer Manövrierfähigkeit eingeschränkt, durch die Materie, allerdings nur um zu beobachten, nicht um daran teilzunehmen. Wir treffen dabei auf unseresgleichen, allerdings durch Schutzanzüge oder -masken unkenntlich gemacht und zur Kontaktaufnahme nicht bereit. Sie sind ganz in sich und ihre Welt versunken, verschmelzen mit ihrer Umgebung, verschwinden gerade irgendwohin oder tauchen von irgendwo auf. Ähnlich verhält es sich mit den vermeintlichen Überbleibseln aus Kollisionen; bei intensiverer Betrachtung allerdings kommen einem Zweifel an der Möglichkeit einer Existenz, schaut man auf den Titel, wird ergänzend zum Bild von Nonmaterieller Kollision gesprochen. Existenz Ja oder Nein, wenn ja Wie? Schon wieder packt mich der Gedankenstrudel.
Thomas Riesss „Lieblingskind“ unter den Bereichen der Bildenden Kunst ist die Malerei, die für ihn existentiellen Charakter hat, im doppelten Sinn. Über sie sucht er nach einem höheren Sinn, nach Selbsterkenntnis, genauso wichtig ist ihm aber die Fähigkeit, sich künstlerisch auszudrücken, sich zu offenbaren. Die Wesen mit Atmungshilfen entspringen nicht nur einer Idee, hat er doch selbst mit der Atmung experimentiert. Die Widersprüche in der Wahrnehmung, nicht ausschließlich auf das Sehen beschränkt, sind sie nicht Bestandteil unserer aller Leben, sowie der stete Wechsel von Ordnung und Unordnung, das über den Haufen Werfen von Prinzipien, um wieder neue aufzustellen, so manövrieren wir uns durchs Leben, oder manövriert das Leben uns? Egal, wir sind in Bewegung.
Thomas Riess weiß im Wesentlichen im Voraus, was entstehen soll, wobei aber eine Änderung der Intention Bestandteil des Systems ist. Als Hintergrund oder als das alles Umspülende, in sich Aufsaugende hat er in letzter Zeit vornehmlich die Farbe Blau gewählt. Wie er mir sagte, kann das Experimentieren, das Ausreizen mit Blau während des Malvorgangs fatale Folgen haben; Geht man zu weit, kann das Bild kippen und ist dann zerstört. Aber genau das reizt ihn so. Er ist ein Grenzgänger, lotet gerne aus. Fährt auch seine Zuschauer gerne in die Irre, experimentiert mit Perspektiven, Hell und Dunkel, Innen und Außen und treibt so, im wahrsten Sinne des Wortes, sich und seine Malerei immer weiter.
Das ist das, was er anstrebt: eine Perfektionierung der Form, nicht um ihrer selbst Willen sondern um Sich dar zustellen. Körperliches und Geistiges fließen ineinander über, Grenzen werden aufgehoben, in Frage gestellt. Uns will er berühren, etwas in uns initiieren, nichts Bestimmtes, etwas, was in uns selber liegt, was wir selber finden müssen, das geht ihn nichts an, es beschäftigt ihn nicht. Er ist mit sich selbst beschäftigt, ein ewig Suchender.
Marlies Lüdtke