Eleonora Bliem-Scolari'
Ansichten und Durchsichten als duales Spiel der Hinterfragung
Manchmal verleiten Eindrücke, die sich vorerst als unspektakuläre Ansammlungen von Momentaufnahmen, Gefühlsregungen und aus unschlüssigem Abwägen heraus ergeben, zu jener individuell als reizvoll empfundenen Stimmung des Irritiertseins, die einer Aufforderung gleichkommt Hintergründiges und Offensichtliches näher zu erforschen. Man kann es für sich persönlich nicht exakt definieren, ob es ein Kompendium an Unstimmigkeiten, Inbalancen oder die Verweigerung einer allzu prominenten Plakativität ist, die die Beschäftigung mit der Arbeit eines Künstlers provoziert. Gelten nun visuelle Irritationen als Garant für motivierte Aufmerksamkeit in Bezug auf die Auseinandersetzung mit derselben? Oder bereichern sie unser gesättigtes Sehverhalten im intellektuellen Sinn? Befasst man sich schließlich mit den bildnerischen Arbeiten des Tiroler Kunstschaffenden Thomas Riess, so wendet man sich in der Position des Betrachters einem komplexen Gesamtgefüge zu.
Die Komplexität bezieht sich dabei nicht allein auf ausgesprochen substanziell differenzierende Bildvorlagen, die selbstverständlich als solche wahrgenommen bzw. interpretiert werden, vielmehr werden diesen Bildvorlagen komprimierte Bildbeschreibungen vorangestellt - der Bildtitel als solcher verliert hier seine einem Attribut annähernde Funktionalität - für den Künstler versteht sich die Titelfindung nicht als Appendix eines Bildes, sondern als Initial einer Idee, die trotz der entfliehenden Eindeutigkeit den Leitgedanken trägt. Fleischflügler, Zebrale Wesen, Überkopfflieger, Belichten (Box), Sauger oder Raumgreifer parodieren als Wortmasken die subjektbezogene Grundthematik. Als konsequente Erscheinung empfindet man jene intonierte Leidenschaftlichkeit, den vorab vermeintlich selbstporträtistischen Positionen immer mehr anonymisierte Gegendarstellungen anzugliedern.
Das Porträt im klassischen Verständnis unterliegt jedoch einer malerischen Auffassung, die das Wesen als unzugänglich und verfremdend strukturiert. Ein maskiertes Gesicht erlaubt uns
zwar im begrenzten Ausmaß die assoziative Vergleichsdarstellung, weiterführende Avancen der Vertrautheit werden jedoch vom Künstler vehement vermieden und in weiterer Erkenntnis einer stetig verhüllten Körperlichkeit bzw. der eigentlichen bis ins Technoide reichenden
Stofflichkeit entgegen gehalten. Erfahrbar ist nun Thomas Riess Tendenz, die nominalisierte aktuelle Gegenständlichkeit der abstrahierten Körperlichkeit vorangegangener malerischer
Werke vorzustellen - in dem Sinn übernimmt die variable Entscheidung zur Figuration eine weitere Aufgabe als Transmitter und ist Teil eines beherrschenden symptomatischen Dualismus in seinem Konzept. Die prinzipiell subjektive Bewusstseinsfrage reduziert sich nicht allein auf die Hinterfragung von Innen- und Außenräumen, von Durchsichten und der Wahrnehmung des Realen an sich, viel eindringlicher verläuft der Versuch des Kunstschaffenden, das zeitliche Prinzip der Ebenen und des Momentzustandes am Papier oder auf der Leinwand offen zu legen. Ebenen definieren sich durch Farbwerte, figurative Zeichenfolgen, verkürzte Perspektiven, paradoxe Blickachsen und deren erwähnter
begleitender Beschreibung.
Gerade der unumgängliche Stellenwert der grafischen Arbeiten manifestiert in ihrem reichhaltigen Umfang, ihrer technisch variantenreichen Umsetzung und einem zeitlichen Duktus untergeordnete Ausschnitthaftigkeit die Absicht des Künstlers, konvergierende Gedankenimpulse in anschließenden großformatigen Bildwerken weiter abzuhandeln. Sind sie nun reine Versatzstücke für spätere Bildinhalte und Fingerübungen oder inspirieren sie uns durch ihre Eigenständigkeit zu weiteren Gedankenkonstrukten? Dem grafischen Konvolut liegt eine besondere Eigenschaft zugrunde, nämlich die autonomen Kriterien einer spontan induzierten künstlerischen Momentaufnahme zu erfüllen und eine weitere Ausgangsposition für gedachte und dementsprechend in der Bildarbeit umgesetzte konfigurierende Szenerien zu sein. Weitere definierende Interpretationen unterliegen nun, von Thomas Riess beabsichtigt, dem Vorstellungsvermögen des außen stehenden Beobachters. Der bevorzugt fluktuierende, stimmungsabhängige Austausch bzw. das visuell erfahrbare Durchbrechen von Ebenenstrukturen ermöglicht uns, nach angebotenen Lösungen zu suchen - Lösungen, die nicht durch kollektivierte Aussageformeln inhaltlich entkräftet werden, sondern immer wieder aufs Neue das Blickverhalten und die Geistigkeit herausfordern.
Die Werke der letzten Jahre mit der speziellen Technik, bei der Korrekturbandroller auf acrylgrundiere Leinwand aufgetragen wird, jonglieren in feiner Varianz mit den einem komplexen Sehverhalten unterworfenen Kippeigenschaften. Dabei definiert eine fotografische
Vorlage das inhaltliche und kompositorische Format, dem ebenfalls bereits grafisch gelöste Konzeptionen vorausgegangen sind. Schwarz und das durch Tippex resultierende grobkörnige Weiß eliminieren farbig Angedachtes und begreifen sich als optisches Vexierspiel - die
inhaltliche Entschlüsselung geschieht in Folge Schicht für Schicht mit dem Ergebnis, als begreifbares Ganzes offen zu liegen. Immer wieder entdeckt man in Thomas Riess` Arbeiten schablonenartig eingesetzte Mustervarianten und zeichenhafte Wiederholungen, deren Irritationswert parallel mit einem gewissen Gewöhnungseffekt auffällt - dem folgt schlussendlich in erkenntnisreicher Frontalität die Hauptaussage seiner Intention und animiert zur weiteren Analyse.
Die Freiheit dazu umfasst die Eigenschaft des Einzelnen, sich selbst im Raum zu definieren und die vom Kunstschaffenden vorgegebenen statischen und dynamischen Definitionen als solche kritisch zuzulassen.
Eleonora Bliem-Scolari (Kunsthistorikerin)